Jeder von uns hat Handlungsoptionen

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Wir haben neben der Corona-Pandemie eine Umwelt-, Energie- und Wirtschaftskrise und das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur scheint auf den Kopf gestellt. Experte Dipl. Ing. Friedbert Ottacher über die Ursachen globaler Krisen, den Mangel an sozialer Gerechtigkeit, die Corona-Pandemie als Game-Changer und warum er trotz allem ein Optimist bleibt.

Dipl. Ing. Friedbert Ottacher über die Ursachen globaler Krisen
Dipl. Ing. Friedbert Ottacher über die Ursachen globaler Krisen

In unserer Generation gab es Wohlstand für viele – zumindest im Norden, und an den Wohlstand gewöhnt man sich, mit allen Konsequenzen ...

Dipl. Ing. Friedbert Ottacher

Wie hängt unser Wohlergehen mit dem Zustand in den Entwicklungsländern zusammen? wollte vom Experten Dipl. Ing. Friedbert Ottacher wissen, warum Entwicklungszusammenarbeit so wichtig für uns alle ist, welche Auswirkungen Corona auf die Entwicklungsländer hat und wie wir alle einen Beitrag zur Bewältigung der globalen Herausforderungen leisten können.

Am 25. September 2015 wurde die Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung von der Generalversammlung der Vereinten Nationen von allen 193 Mitgliedstaaten verabschiedet. Kam es dadurch inzwischen zu Verbesserungen? Welche Bilanz ziehen Sie zu den bisherigen Umsetzungen der Ziele?

Die Agenda 2030 war ein großer Wurf, ein Paradigmenwechsel. Es war das erste Mal, dass sich alle Staaten verpflichtet haben, eine gemeinsame globale Agenda zu verfolgen. Die Ziele muss jeder einzelne Staat auf seine Realität runterbrechen und sie werden sehr unterschiedlich umgesetzt. Manche Staaten nehmen das sehr ernst, andere wie Österreich weniger. Was man sagen kann: Der Fortschritt ist sehr unterschiedlich und man kann im Großen und Ganzen davon ausgehen, dass die Ziele nicht erreicht werden. Dafür sind die Anstrengungen zu gering und die Ziele in sich sehr widersprüchlich. Es sind ja drei große Zielbereiche: Einerseits die sozioökonomische Entwicklung, andererseits die wirtschaftliche Entwicklung und dann die Umweltentwicklung. Wenn ich die soziökonomischen Ziele erreichen möchte, dann geht das auf Kosten der Umwelt. Das ist ein Widerspruch. Wenn ich 8 Milliarden Menschen über der Armutsgrenze haben will und möchte, dass diese halbwegs im Wohlstand leben, dann werden wir die ökologischen Ziele nicht erreichen können. Es gibt daher natürlich auch Schwächen in dieser Agenda, aber es ist auch klar, dass die Ziele breit gefasst sein müssen, wenn das 193 Nationen unterschreiben sollen. Mittlerweile gibt es einen starken Fokus auf die Umwelt, auch aufgrund der Agenda der Europäischen Union wie etwa der Green Climate Fund – da tut sich einiges in eine positive Richtung. Was die sozialen Ziele betrifft, zeichnet sich ab, dass wir durch Corona einen großen Rückschlag erleben werden, besonders in den Entwicklungsländern. Es kommt kein Geld mehr von der Diaspora zurück, der Tourismus bricht ein, Investitionen werden gestoppt – also da werden die Entwicklungsländer einen hohen Preis zahlen.


Wir haben neben der Corona-Pandemie eine Umwelt-, Energie- und Wirtschaftskrise und auch in Österreich sind viele Menschen von Armut und Arbeitslosigkeit betroffen. Was hat unsere Generation falsch gemacht?

In unserer Generation gab es Wohlstand für viele – zumindest im Norden, und an den Wohlstand gewöhnt man sich, mit allen Konsequenzen wie hoher Energiebedarf, Umweltverschmutzung usw. Und es ist recht schwer, so ein Verhalten wieder zu ändern, wenn man sich erst einmal daran gewöhnt hat. Und dieses Role Model des Westens wurde ja auch den Entwicklungsländern vorgelebt. Da spricht man von der nachholenden Entwicklung. Das Ziel war immer eine Entwicklung wie wir sie haben und die Entwicklungsländer wollen das natürlich auch! Sie wollen auch konsumieren und CO2 ausstoßen und genau da spießt es sich. Da geht es auch um eine Gerechtigkeitsdebatte. Ich glaube, diese Angst vor Wohlstandsverlust und -verzicht ist ein Thema, das bei uns noch nicht so angekommen ist, aber ich hoffe, dass die Corona-Pandemie ein Game-Changer ist und wir neue Werte entdecken. Welche Werte sind mir wichtig? Ist es mir wichtig, dass ich zwei Mal im Jahr in den Urlaub fliege oder geht es auch ohne dem? Ich glaube, da kommt jetzt einiges in Gang. Also insofern denke ich, dass es schon ein paar positive Effekte der Krise geben kann, die dann vielleicht eine neue Generation mit anderen Werten auch umsetzt.

Wo müssten wir zuerst ansetzen, um eine Kehrtwende herbeizuführen? Können wir in unserem alltäglichen Verhalten überhaupt etwas bewirken?

Jeder von uns hat Handlungsoptionen für eine gerechtere Welt. Wir können in einem gewissen Grad auch mit dem Einkaufswagen Politik machen – sofern wir es uns leisten können. Und jeder Einzelne hat die Möglichkeit “lobbying and advocacy“ zu betreiben – also Petitionen zu unterstützen, sich zu engagieren, Politiker anzusprechen bzw. Organisationen zu unterstützen, die sich in diesem Bereich engagieren. Aber natürlich ist die Politik auch gefordert. Was nicht passieren darf – das haben wir in der Klimadebatte gesehen – ist, dass man sagt, dass alles am Einzelnen liegt und er die Verantwortung trägt. Da macht es sich die Politik zu leicht. Es geht nur, wenn beides in die gleiche Richtung geht.

Welche Erfolge konnte die Entwicklungszusammenarbeit der letzten Jahrzehnte verbuchen? Warum ist Entwicklungszusammenarbeit für unsere Welt so wichtig?

Die Entwicklungszusammenarbeit gibt es schon seit 70 Jahren und hat eine lange Geschichte. Sie steht aus zwei Gründen immer wieder in der Kritik: Einerseits wird ihr vorgeworfen, dass sie zu wenig bewirkt hat, andererseits sagen viele Politiker in den Entwicklungsländern, auch in Afrika, dass das alles neokolonial und asymmetrisch ist. Es gibt Machtgefälle zwischen Fördergeber und Fördernehmer, es sind strukturelle Ungereimtheiten da, die aus Sicht der Politiker in den Entwicklungsländern das Land nicht vorwärtsbringen. Diese Kritik muss man ernst nehmen. Trotzdem hat sich die Entwicklungszusammenarbeit auch immer wieder weiterentwickelt. Was steht auf der Habenseite? In der Subsahara oder in Afrika, wo die ärmsten Staaten sind, sehen wir sehr wohl Fortschritte, besonders im Bereich Gesundheit und Bildung. Es gab 2015 das Jahr der Entwicklung, da hat man einen Kassasturz gemacht und relativ aufwendig Daten erhoben. 1990 ging nur eines von zwei Kindern in die Schule, 2015 waren es vier von fünf. Und die Kinder- und Müttersterblichkeit wurde um die Hälfte reduziert. In die Entwicklungszusammenarbeit wird viel hineininterpretiert und die Erwartungen sind sehr groß. Aber man muss die Kirche im Dorf lassen. Wir haben alles zusammengerechnet im Jahr 140 Milliarden Euro Budget für Entwicklungszusammenarbeit, inklusive dem kleinsten Verein bis hin zur UNO. Das entspricht in etwa einem Drittel des österreichischen Bruttoinlandproduktes, und damit die Welt zu retten oder Armut und Hunger zu besiegen, ist illusorisch.

Friedbert Ottacher engagiert sich vor allem bei Projekten in Äthiopien, Uganda und im Südsudan.
Friedbert Ottacher engagiert sich vor allem bei Projekten in Äthiopien, Uganda und im Südsudan.

Stichwort Bildung – warum ist Bildung so wichtig?

Bildung ist aus mehreren Gründen wichtig: Bildung schafft Zugang zur Welt, schafft Verständnis und Anschluss. Wir sprechen ja auch von dem Megatrend der Digitalisierung, die auch in Afrika schon weit vorangeschritten ist. Und die Menschen dort können um einiges schneller solche Veränderungen akzeptieren und umsetzen. Das merkt man beispielsweise an dem mobilen Geld M-Pesa, mit dem schon seit 10 Jahren Geldbeträge von einem Handy auf unkomplizierteste Art und Weise aufs andere geschickt werden können. Aber dazu braucht es trotzdem eine gewisse Grundbildung – ich muss rechnen, schreiben und lesen können. Die Eltern investieren in die Bildung der Kinder, weil erkannt wird, dass Bildung Zukunft und Einkommensmöglichkeiten schafft.

Immer mehr Experten behaupten, dass das Auftreten von Pandemien und Seuchen nicht unerwartet kommt, sondern unter anderem damit zusammenhängt, dass das Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur auf den Kopf gestellt ist. Wie sehen Sie das?

Diese Meinung teile ich absolut. Je mehr der natürliche Lebensraum zurückgedrängt wird, je mehr wir uns allen möglichen Spezies annähern, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Pandemien auftreten. Ich bin zwar kein Mediziner oder Virologe, aber es erscheint mir schlüssig, dass da noch mehr auf uns zukommen wird, wenn wir die Natur nicht wieder mehr respektieren.

Zum Schluss bitte Ihre ganz persönliche Einschätzung: Ist die Welt noch zu retten?

Ja, ich denke, sie entwickelt sich ständig weiter und man kann zu keinem Zeitpunkt ein Fazit ziehen und sagen: So ist es und es ist alles verloren. Ich denke, die Menschheit hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie sich anpassen kann und die Erde dreht sich weiter. Also ich bleibe trotz allem optimistisch.

Das Interview gibt es teilweise zum nachhören auf: RadioSamariterbund

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