Die Teuerung macht vielen zu schaffen. Wenn das Geld knapp ist, wird ein Friseurbesuch zum Luxus. In Wien-Meidling wurden Menschen mit knappem Budget solche Wohlfühltermine ermöglicht.
Ein ganz normaler Wochentag mitten im Jänner: Im gemütlichen Friseursalon Neša in der Aichholzgasse ist der Meister in seinem Element. Heute stellt er seine Fähigkeiten in den Dienst der guten Sache. Renate Dolejsch und Annemarie Brezik haben hier ihren ganz persönlichen Wohlfühltermin. Beide sind Kundinnen beziehungsweise ehrenamtliche Mitarbeiterinnen des Samariterbund-Sozialmarkts in der Böckhgasse. Gemeinsam mit Gemeinderat Jörg Neumayer und Bezirksvorsteher-Stellvertreterin Barbara Marx ermöglicht der Friseur armutsgefährdeten Menschen einen kostenlosen Friseurbesuch. Seit der Kostenexplosion im letzten Jahr ist dieser Akt der Selbstschätzung für manche Menschen in weite Ferne gerückt.
Brezik ist bereits in den Genuss eines Haarschnitts gekommen. „Das war sehr angenehm. Ich gehe ja generell gern zum Friseur. Genaue Vorstellungen für meine Frisur hatte ich nicht. Mir war wichtig, dass sie geschnitten werden. In meinem Alter wechselt man nicht mehr so einfach die Frisur.“ Mit dem Ergebnis ist sie nach einem kurzen Kontrollblick in den Spiegel sehr zufrieden. „Sind Sie auch zufrieden?“ Ich bejahe, und sie erwidert verschmitzt: „Na schau, wenn Sie es sind, bin ich es auch.“
Die rüstige Pensionistin ist fast täglich im Sozialmarkt in der Böckhgasse im Einsatz. Einerseits hilft sie als Ehrenamtliche im Markt mit. Andererseits versorgt sie ihre Nachbarn, die nicht mehr so mobil sind, mit Lebensmitteln.
Zusammenhalt im Grätzl
Organisiert und abgewickelt wird alles über den Samariterbund Wien. Im Sozialmarkt in der Böckhgasse 2/4 können sich die Kund:innen für einen kostenlosen Haarschnitt anmelden. „Die Teuerungswelle ist ungebrochen hoch. Und Menschen, die sich kaum die nötigsten Dinge des alltäglichen Lebens leisten können, sollen dennoch ihre Würde und ihren Selbstwert behalten. Diese Aktion trägt auf jeden Fall dazu bei“, betont Oliver Löhlein, Geschäftsführer des Samariterbund Wiens.
Vorerst war der Friseursalon Neša an insgesamt zwei Tagen im Jänner und im Februar ausschließlich für Sozialmarktkund:innen offen. Dabei wurden bisher 30 gratis Haarschnitte für jeweils 15 Personen pro Tag angeboten. Die Kosten teilen sich die Bezirkspolitiker:innen gemeinsam mit dem engagierten Friseur im Grätzl. „Es geht uns vor allem um das Wir-Gefühl in Meidling. Die Idee für diese Aktion ist uns, wie könnte es anders sein, beim Friseur gekommen. Ich persönlich würde mich sehr freuen, wenn die Idee aufgegriffen und von vielen übernommen wird“, hofft Neumayer. Auch Marx betont den Wert der Aktion: „Ich mag diese niederschwellige Art und Weise. Und ein Friseurbesuch ist immer etwas Feines, ein kleiner Urlaub für die Seele. Und es ist als Bezirkspolitikerin auch schön zu sehen, dass der Zusammenhalt im Grätzl nach wie vor funktioniert.“ Friseur Nebojsa Kikovic, Inhaber des Salon Neša im 12. Bezirk, war von Anfang an begeistert von dieser Idee: „Herr Neumayer und Frau Marx sind schon seit Längerem Kunden bei mir. Und bei einem Gespräch haben wir dann diese Idee geboren. Ich wollte mich unbedingt auch finanziell beteiligen. Deshalb haben wir die Kosten gedrittelt.“ Die beiden Politiker:innen und der Salonbesitzer basteln auch bereits an weiteren Terminen.
Nachahmung erwünscht.
„Egal, ob Kosmetiksalon, Friseur oder Barber-Shop. Wir hoffen, dass sich viele Nachahmer:innen finden, die sich ein Herz nehmen und derartige Aktionen auch in anderen Bezirken auf die Beine stellen“, ergänzt Neumayer. Renate Dolesch hat soeben den Friseursessel verlassen und macht Platz für die nächste Dame. „Schön ist das schon, sich wieder einmal beim Friseur verwöhnen zu lassen. Ich war schon so lange nicht mehr, denn ich kann es mir nur noch sehr selten leisten.“
Dolesch kennt viele Menschen, vor allem Pensionist:innen, die immer stärker von Armut betroffen sind und jeden Cent drei Mal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Umso mehr schätzt sie Initiativen wie diese. Zudem könnte sie sich das Leben ohne Sozialmarkt kaum mehr leisten. „Ich hoffe auf eine baldige Wiederholung dieser Aktion. Und bis dahin werde ich die Haare einfach wachsen lassen.“
Georg Widerin
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