Demokratie - Ein Auslaufmodell?

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Gleich mehrere aktuelle Studien kommen zum gleichen Schluss: Die durch allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen begründete Herrschaft des Volkes ist weltweit als Staatsform auf dem Rückzug. Wieso ist das so – und kann man den Trend umkehren?

Gerade erst wurde in Deutschland das Grundgesetz anlässlich seines 75-jährigen Bestehens gefeiert. Es ist das Fundament der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik. Auch in der österreichischen Bundesverfassung finden sich ganz prinzipielle Festlegungen, die unser Land ausmachen: Republik, Rechtsstaat, Bundesstaat und – Demokratie.

Dass Letztere, einmal eingeführt, kein Selbstläufer ist, zeigen gleich mehrere aktuelle Erhebungen, etwa der Demokratieindex, den die britische Wochenzeitung Economist jährlich veröffentlicht. In ihn fließen verschiedene Kriterien wie Wahlprozess und Pluralismus, Funktionsweise der Regierung, Politische Teilhabe, Politische Kultur sowie Bürgerrechte ein. Maximal sind hierbei zehn Punkte zu erzielen, was einer Einordnung der bewerteten Länder in vier Kategorien dient: vollständige Demokratie, unvollständige Demokratie, Hybridregime (Mischformen aus Demokratie und autoritärem Regime) und autoritäres Regime, sprich Diktatur. In der aktuellen Statistik zum Jahr 2023 liegt Österreich mit einem Wert von 8,28 auf dem weltweit 19. Platz (von untersuchten 167) und gilt – ebenso wie Deutschland (Platz 12) und die Schweiz (Platz 8) als vollständige Demokratie. So weit, so gut.

Insgesamt ist die Staatsform Demokratie allerdings ein zunehmend rares Gut. So leben derzeit zwar 45,7 Prozent  (+0,04 Prozent  im Vergleich zum Vorjahr) der Weltbevölkerung grundsätzlich in einer Demokratie, in einer vollständigen jedoch nur 7,8 Prozent.  Hingegen 39,4 Prozent  (+2,5 Prozent ) der Menschen haben eine Diktatur als Regierung.

Laut Bertelsmann Stiftung, die jährlich eine ähnliche Untersuchung mit 137 Staaten durchführt, standen 2020 noch 74 Demokratien 63 Diktaturen gegenüber. 2024 hat sich das Verhältnis exakt verkehrt. Gründe für den Verlust demokratischer Strukturen gibt es viele, und nicht immer muss das gleich eine gewaltsame Revolution sein.

Fake News helfen den Populisten

Die Digitalisierung per se sowie die enorme Nutzung sozialer Medien haben die Verbreitung von Fake News und Desinformation erleichtert und massiv beschleunigt. Dies untergräbt das Vertrauen in demokratische Prozesse und Institutionen. Und hilft nicht zuletzt dem sich ausbreitenden Populismus, der für Probleme in komplexen Zusammenhängen scheinbar einfache Lösungen verspricht – oder schlicht tatsächliche oder vermeintliche Schwierigkeiten nur benennt, ohne differenzierte Alternativen anzubieten. Was allerdings bei der Anhängerschaft nicht schadet. Sich selbst als außerhalb des etablierten Systems stehend zu inszenieren, hilft demokratiefeindlichen Kräften, eine steigende Zahl an unzufriedenen Menschen hinter sich zu versammeln.
Doch auch weniger offensichtliche Manipulationen haben laut Dirk Helbing, Professor für Computational Social Science an der ETH Zürich, enormes Gewicht. Als Beispiel führte er in einem Interview mit dem Standard den Cambridge-Analytica-Skandal an, bei dem Millionen von Facebook-Nutzerdaten für den US-Wahlkampf 2016 und für die Brexit-Kampagne zur gezielten Beeinflussung der Wähler:innen missbraucht wurden. Insgesamt seien laut Helbing im vergangenen Jahrzehnt mehr als 60 Demokratien mit solchen Methoden unterminiert worden.

Die Demokratie ist weltweit auf dem Rückzug (Quelle: The Economist)
Die Demokratie ist weltweit auf dem Rückzug (Quelle: The Economist)

Demokratie nicht wehrlos

Wehrlos ist die Demokratie gegen all das nicht. Zum einen können restriktivere Bestimmungen zur Abwehr von Fake News und der illegalen Verwendung von Nutzerdaten beschlossen werden. Zum anderen stärken Bildung, Bürgerbeteiligung und -engagement die Identifikation mit dem demokratisch verfassten Staat. Das schafft mehr Austausch und Dialog über die eigene Meinungsblase hinweg sowie Kenntnis und Verständnis gegenüber der jeweils „anderen“ Seite. Für die Demokratie sichtbar einzutreten, wie zum Beispiel im Frühjahr bei zahlreichen großen Demonstrationen in Deutschland und Österreich, offenbart vor allem eines. Nämlich, dass sonst vor allem die Vehemenz und Lautstärke beim Vertreten einer bestimmten Meinung – im Netz und im echten Alltag – fälschlicherweise dafür sorgt, gefühlte für reale Mehrheiten zu halten.

Ganz allgemein schützt die Demokratie zudem neben dem Fortbestand allgemeiner, freier, gleicher und geheimer Wahlen besonders eine unabhängige wie funktionstüchtige Justiz, die schleichende Aushöhlungsprozesse demokratischer Prinzipien nicht einfach durchwinkt, sondern per Urteil beenden kann.
Wege, dem Verlust der Demokratie entgegenzuwirken, gibt es also einige. Sie zu beschreiten, mag mitunter anstrengender sein als die Abgabe von politischer Gestaltungsmöglichkeit zugunsten eines autoritären Regimes. Die Mühen lohnen sich, denn bleiben doch so, neben vielem anderen, die individuelle Freiheit und der prinzipielle Schutz vor staatlicher Willkür erhalten.

Michael Brommer

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