Vielleicht ist es ja Aberglaube. Aber das kann man dann über ein schlichtes „Guten Tag“ sagen: Ob der Tag für diejenigen, denen man einen ebensolchen wünscht, gut werden wird, weiß man ja vorher nicht – aber hoffen ist erlaubt.
Ich bin Läufer. Läufer haben Rituale. Manche ziehen immer den rechten Schuh zuerst an. Bei mir ist es eine Grußformel: Vor jedem Wettkampfstart gehe ich zu einem oder einer Sani (oder, beim Triathlon, zur Wasserrettung) und dann wünsche ich den Uniformierten einen langweiligen Tag. Stinkfad möge er sein. Vom Startschuss bis zum Zielschluss. Weil gelangweilte Rettungskräfte das Beste sind, was mir und allen anderen Teilnehmer*Innen passieren kann.
Meistens lachen die Sanis. Verstehen, was ich meine – und warum ich das sage. Und grinsen, wenn ich zum Schluss komme: „Aber egal, wie fad euch ist: Wenn ihr nicht da wäret, wäre ich auch nicht hier.“
Manchmal, meistens, geht, funktioniert diese Beschwörungsformel: Dann gibt es einen verstauchten Knöchel, ein aufgeschlagenes Knie, einen Kreislaufkollaps – im Ziel speiben ein paar, stehen aber nach zehn Minuten wieder. Bei 10.000en, die ihre Grenzen ausloten, ist auch etwas mehr genau gar nix. Aber natürlich bin ich nicht blöd oder naiv genug, einen kausalen Zusammenhang zwischen meinem Ritual und dieser Ereignislosigkeit herzustellen.
Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Sport ist gesund. Sport hält gesund. Gesunde Menschen sterben nicht.
Es gibt aber auch die anderen Tage. Bewerbe, bei denen Retter*Innen alle Hände voll zu tun haben. Und manchmal, selten, aber doch, sterben dabei Menschen. Ja, auch beim Sport. Das ist individuell furchtbar. Aber es rüttelt auch an einer gesellschaftlichen Grundfeste: Beim Sport umfallen, weil jemand die Gleichung aus Ehrgeiz, Anstrengung, Sonne und Kreislauf heute nicht hinkriegt, mag angehen. Aber sterben? Geht gar nicht. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Sport ist gesund. Sport hält gesund. Gesunde Menschen sterben nicht. Nur: Was, wenn doch? Was dann? Ganz klar: Jemand muss schuld sein.
Das ist ungerecht. Aber es hilft. Weil der Tod nicht ins Narrativ passt. Nicht in das vom gesunden Sport. Aber auch nicht in das von der Macht der Retter: Was, die haben den nicht gerettet?
Dass die Geschichte doch genau andersrum erzählt werden müsste? Die richtige Frage wäre natürlich, wie die Bilanz aussähe, wenn nicht an jeder zweiten Ecke jemand bereitgestanden hätte. Aber: Im Match „Ratio vs Emotio“ steht der Sieger schon vorher fest.
Als ich heuer nach dem Vienna City Marathon Fotos von leider gar nicht gelangweilten Sanis publizierte, gab es einen Shitstorm. Die Bilder habe ich – und das ist wichtig – im vollen Vorbeilaufen ohne abzubremsen gemacht. Laufend zu dokumentieren ist mein Job. Und etwas anderes als stehenzubleiben, Helfer*innen zu behindern und die Privatsphäre Verunglückter zu missachten. Nur: Darum ging es eh nicht. Es ging ums Grundsätzliche: „Das zeigt man nicht.“ „Das will keiner sehen.“ „Das zerstört die Freude.“ „Das macht Angst.“
Echt jetzt? Angst? Angst wovor? Angst davor, zu wissen, dass da jemand ist, der weiß, was zu tun ist, wenn passiert, was nicht passieren soll? Was sich und anderen keiner wünscht? Ich sehe das anders. Umgekehrt nämlich. Zu zeigen (unter Wahrung der Integrität der Betroffenen), dass Rettungsketten funktionieren, ist eine gute, eine wichtige Botschaft: Sollte ich je beim Laufen umfallen, dann bitte in so einem Setting.
Aber natürlich ist mir lieber, wenn ich euch nicht brauche. Wenn euch außer fad nur fad ist. Deshalb wünsche ich euch das vor dem Start: Ohne zu wissen, dass ihr da seid, würde ich nämlich nicht losrennen.
T.Rottenberg
Thomas Rottenberg
Thomas Rottenberg ist ein österreichischer Journalist, Moderator und Autor, unter anderem Verfasser der wöchentlichen Laufkolumne „Rotte rennt“ in „Der Standard“. Der begeisterte Läufer war beim Vienna City Marathon, der vom Samariterbund betreut wurde, und schrieb im Standard einen Artikel über seine Erfahrungen mit den Sanitäter*innen und spendete dem Samariterbund aus Dank sein Honorar.
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