Seit dem Bestseller „Gut gegen Nordwind“, der in 40 Sprachen übersetzt und als Film gefeiert wurde, zählt Daniel Glattauer zu den beliebtesten Schriftstellern in Österreich. Nun hat der Wiener Erfolgsautor mit seinem neuen Buch „Die spürst du nicht“ erstmals einen politischen Roman geschrieben. Sam WIEN hat Daniel Glattauer zu einem Gespräch im Café Sperl getroffen und mit ihm über Flüchtlingshilfe, Integration und sein neues Buch gesprochen.
sam WIEN: Im Zentrum Ihres neuen Romans „Die spürst du nicht“ steht eine Flüchtlingsfamilie aus Somalia und der Umgang mit Flüchtlingen in einem Umfeld zweier Wiener Bobo-Familien. Was hat Sie dazu bewogen, dies zum Thema Ihres neuen Romans zu machen?
Daniel Glattauer: Wie immer bei meinen Büchern schöpfe ich die Themen aus meinem unmittelbaren Umfeld. So war es auch diesmal. Wir hatten einen Urlaub mit zwei befreundeten Paaren in der Toskana geplant. Es war nach der Coronazeit und wir waren alle ausgehungert nach einem schönen Erlebnis. Meine Frau Lisi und ich haben unser damals 14-jähriges Patenmädchen Madina mitgenommen, auch, damit sie dort schwimmen lernt. Und wie das vor einem Urlaub so üblich ist, macht man sich viele Gedanken. Und einer der schlimmsten war, dass wir beim Swimmingpool aufpassen müssen. Der Gedanke war: Ein Flüchtlingskind übersteht die Flucht und ertrinkt dann in einem Wohlstands-Swimmingpool von Bobos. Das war die Idee für das Buch.
Integration ist etwas, das von beiden Seiten kommen muss. Man verlangt es von den Geflüchteten, aber sie brauchen unsere Hilfe dafür. Wir müssen ihnen mindestens auf dem halben Weg entgegenkommen.
Der dramatische Verlauf im Roman ist aber erfunden…?
Ja (lacht), wir hatten einen sehr schönen Urlaub. Madina hat schwimmen gelernt. Wir haben lange überlegt, wann wir es ihr sagen sollen, dass sie die Inspiration zu diesem Buch war, das eine tragische Geschichte erzählt. Ihre Reaktion war aber sehr gelassen. Sie hat nur gesagt: Ah, das klingt spannend!
Sie widmen der Fluchtgeschichte der Familie Ahmed in ihrem Buch ausführlich Platz – etwa, warum diese ihre Heimat Somalia verlassen musste und was sie Tragisches während ihrer Flucht erlebt hat. Warum war es Ihnen wichtig, dies in ihrem Roman detailliert zu erzählen?
„Die spürst du nicht“ steht für all jene, auf die vergessen wird. Meine Frau und ich haben seit Jahren unbegleitete minderjährige Burschen aus Somalia unterstützt, die mittlerweile erwachsene junge Männer sind. Nach und nach haben sie uns ihre Erfahrungen von ihrer Flucht geschildert. Es war sehr bedrückend und erschreckend, was man da zu hören bekommt. Ich glaube, dass viele Leute nichts davon wissen. Wenn man das aus erster Hand erfährt, geht einem das sehr nahe. Die Fluchtgeschichte der Familie Ahmed ist aus wahren Geschichten zusammengestückelt.
Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrem privaten Engagement für die jungen Flüchtlinge gemacht?
Über die Asylkoordination sind meine Frau und ich 2016 auf das Patenschaftsprojekt „Connecting People“ gekommen und haben so einen damals 16-jährigen Somali und später zwei seiner Freunde kennengelernt. Wir haben gemeinsame Spaziergänge unternommen, sie eingeladen, wir haben viel Karten gespielt, für die Schule gelernt, unsere Beziehung hat sich intensiviert. Sie sind jetzt alle volljährig und haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Einer war ein Musterschüler, der eine Kochlehre in Kürze mit Auszeichnung abgeschlossen hat. Bei der Lehrabschlussverleihung wurde ihm gesagt: „Bitte bleiben Sie bei uns – wir brauchen Sie.“ Das war eine wunderbare Botschaft für ihn.
Auch für Madina aus Afghanistan haben wir eine Patenschaft übernommen. Sie ist mit zwölf Jahren allein nach Österreich gekommen, da ihre Eltern und Schwester vorerst in Griechenland bleiben mussten. Auf ihren Wunsch hin haben wir gemeinsam ihre Familie im Flüchtlingslager in Griechenland besucht. Es ist beschämend, welche Situationen man in den Lagern zulässt. Diese Menschen haben ja nichts Böses gemacht. Es gibt keine Asyltouristen – das Auswandern ist das, was Menschen in Kauf nehmen, um eine furchtbare Lebenssituation zu verbessern.
Wie stehen Sie zur Flüchtlingspolitik in Österreich?
Unsere Flüchtlingspolitik finde ich grauenhaft. Die Politik kann und muss einen gewissen Ton vorgeben, der die Stimmung in der Bevölkerung beeinflusst. Unsere Regierung und manche Oppositionsparteien geben aber einen Ton an, der es den Menschen schwermacht, mit den Schicksalen der Flüchtlinge mitzufühlen. Mein Aufruf ist, sich anzuschauen, was diese Leute erlebt haben. Wir sehen zuerst nur ihre Turnschuhe und ihr Handy. Aber was sie in Wirklichkeit mit sich herumtragen, das wird nicht gesehen. Vor allem den Jugendlichen sieht man den Schmerz und die Tragik nicht sofort an. Sie erleben erstmals in ihrem Leben Freiheit und verhalten sich auf den ersten Blick nicht so, als hätten sie Traumatisches erlebt.
Wie kann ein gutes Miteinander bzw. Integration gelingen?
Integration ist etwas, das von beiden Seiten kommen muss. Man verlangt es von den Geflüchteten, aber sie brauchen unsere Hilfe dafür. Wir müssen ihnen mindestens auf dem halben Weg entgegenkommen. Damit meine ich, dass sie die Sprache lernen müssen – manche tun sich damit schwer, andere leichter. Es braucht Vermittler – wie NGOs, Privatpersonen und Institutionen und natürlich die Politik mit der Botschaft, dass wir alle zusammenhelfen müssen. Integration braucht Zeit – oftmals über Generationen.
Susanne Kritzer
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