„Düsternis ist über dieses Land gekommen“

NewsSAM

Christopher Resch arbeitet für Reporter ohne Grenzen, eine internationale Menschenrechtsorganisation, die sich auf verschiedenste Art für den Schutz der Pressefreiheit weltweit einsetzt und gefährdete Journalist*innen schützt,indem sie Öffentlichkeit für Verstöße gegen die Pressefreiheit schafft. Sam bat Resch zum Interview über die Lage in Russland und der Ukraine.

Christopher Resch (Foto: Reporter ohen Grenzen)
Christopher Resch (Foto: Reporter ohen Grenzen)

Wir hören aus den Nachrichten, dass es um den freien Journalismus derzeit sehr schlecht steht und Reporter, die kritisch berichten, eine Gefängnisstrafe fürchten müssen. Wie sieht die Lage in Russland tatsächlich aus?

Am 4. März wurden mit einem Ge-setzesbündel drakonische Strafen für Menschen beschlossen, die das Ansehen Russlands beschädigen. Es drohen 15 Jahre Gefängnis, wenn man etwa bewusst „Falschinformationen“ über das russische Militär verbreitet. Es dürfen nur noch Informationen von staatlichen Stellen in Umlauf kommen und das steht einem freien, unabhängigen und kritischen Journalismus fundamental entgegen. Diese drakonischen Strafen bedeuten letztendlich einen Exodus für die letzten noch verbliebenen Journalist*innen in Russland. Viele von ihnen mussten Hals über Kopf ihr Land verlassen, weil sie fürchten für ihre Arbeit ins Gefängnis wandern zu müssen. Düsternis ist über dieses Land gekommen. Das Ganze hat zwei Ebenen: Die Situation ist sehr gefährlich für die russischen und internationalen Journalisten vor Ort, aber auch wahnsinnig schlimm für die russische Bevölkerung, weil die sich im Dunkeln bewegt und keinen Zugang mehr zu unabhängigen Nachrichten erhält und auf die russischen Propagandamedien angewiesen ist.

Offenbar wussten viele russische Soldaten gar nicht, dass es sich um einen Krieg handelt. Stattdessen wird von offizieller Seite von einer „Sonderoperation“ gesprochen. Könnte es zu einer Fluchtbewegung russischer Soldaten bzw. junger Männer kommen?

Natürlich wünscht man keinem Men-schen auf der Welt die Flucht, weil das immer ein Herausreißen aus der Familie und ähnlichen Strukturen bedeutet, aber es würde eine Schwächung der russischen Armee und somit auch eine Schwächung des putinschen Angriffskrieges auf die Ukraine bewirken. Aus medialer Sicht gehört dazu noch, dass die russische Staatspropaganda vor allem nach innen sehr gut funktioniert. Es sagt ja schon etwas aus, wenn ganze Bataillone an Sol-daten nicht wussten, dass sie in den Krieg geschickt werden, während die interna-tionale Öffentlichkeit es schon Stunden und Wochen davor zumindest befürchtet hat. Von deutschen Korrespondenten, die in Russland waren, hört man, dass es eine beängstigende große Ignoranz und Unwissenheit in der Bevölkerung gibt. Das zeigt, wie gut die Propaganda funkti-oniert. Und Putin weiß um die Macht der unabhängigen Medien und deswegen hat er sie eingeschränkt.

War die Medienberichterstattung in Russland vor dem Ukraine-Krieg ausgewogener? War die jetzige Situation absehbar?

Die Propaganda hat es schon lange gegeben. Da gibt es auch wieder zwei Komponenten: Jene Propaganda, die ins Ausland sendet wie der Fernsehsender RT und der Radiosender Sputnik, die von der Europäischen Union vor ein paar Tagen verboten wurden, weil diese sie als Kriegsmittel eingestuft hat. Dazu haben wir von Reporter ohne Grenzen eine differenzierte Meinung, weil wir aus unserer Arbeit heraus es eigentlich grundsätzlich nicht gutheißen können, wenn Medien verboten werden. Aber für die Masse der Bevölkerung war das Staatsfernsehen und das Staatsradio schon vorher bei Weitem die wichtigste Informationsquelle. Und die sind schon seit Jahren voller Staatspropaganda. Es gab schon seit dem Sommer 2021 einen extremen Anstieg der Repressionen gegen unabhängige Medien. Man konnte als Medium, Redaktion oder auch als Einzelperson zu einem ausländischen Agenten erklärt werden und das war für unabhängige Journalist*innen wie ein Stigma. Man musste das auf der Website einblenden, es neben jedem Artikel in der Zeitung abdrucken. Das war ein sehr scharfes Schwert gegenüber der freien Presse und man könnte spekulieren, dass das schon eine Vorbereitung dieser „Spezialoperation“ war.

Glauben die Menschen der russischen Propaganda?

Es gibt schon Anzeichen, dass der Großteil der russischen Bevölkerung Putin vertraut, aber bei den jungen, städtischen Leuten gibt es über die sozialen Medien einen gewissen Widerstand. Das macht ein bisschen Hoffnung, aber es bleibt zu befürchten, dass das nur ein sehr marginaler Teil der Bevölkerung ist. Aber oft genug entsteht aus marginalen Gruppen im Sinne einer Avantgarde mehr. Aber angesichts der drakonischen Strafen ist es echt schwierig für die jungen Menschen. Und ich muss ehrlich sagen, ich weiß nicht, ob ich in dieser Situation den Mut dazu hätte, mich aufzulehnen.

Wie sieht die Situation in der Ukraine aus? Wie kommen die Menschen an Informationen?

In der Ukraine war die Medienlandschaft vor dem Krieg relativ frei und pluralistisch. Das Problem war, dass sehr viele Medien in der Hand von Oligarchen waren, was dazu geführt hat, dass Präsident Zelensky viele Medien, die in prorussischer Hand waren, verboten hat, was wir als Reporter ohne Grenzen als Einmischung des Staates kritisieren mussten. Noch können die unabhängigen Medien weiterarbeiten, aber die russische Staatsführung versucht das zu beeinflussen. Zum einen durch Cyber-Hacking, zum anderen versuchte die russische Armee die Medieninfrastruktur zu zerstören. Es gab mittlerweile schon vier Angriffe auf Fernsehsendetürme sowie ukrainische Fernsehteams. Fast alle Journalist*innen wollen das Land nicht verlassen und weiter berichten und wir versuchen das gemeinsam mit anderen Organisationen zu unterstützen. Wir haben dazu in Lwiw/Lemberg ein Pressefreiheitszentrum eröffnet, vor allem um die Verteilung von Schutzausrüstung wie etwa schusssichere Westen, Helme, Schutzbrillen zu koordinieren, da der Bedarf sehr groß ist. Wichtig ist auch die Stärkung der kleinen lokalen Medien, die sehr wichtige Arbeit vor Ort leisten und über den russischen Vormarsch berichten und Kriegsverbrechen dokumentieren können. In Russland versuchen wir die wenigen verbliebenen unabhängigen Medien zu unterstützen, indem wir zum Beispiel ihre Websites spiegeln und auf sicheren Servern wieder hochladen.

Haben Sie Hoffnung,  dass der Krieg bald endet?

Persönlich hoffe ich das natürlich sehr. Ich sehe die Chance dazu am ehesten in der Zivilgesellschaft, die den Druck auf Putin und die politische Führung erhöht. Aus Gründen der Menschlichkeit setze ich darauf, dass der Krieg bald vorbei ist. ˜

Karola Binder

Zur Person

˜Christopher Resch ist Pressereferent im Berliner Team der internationalen Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen (RSF) mit Fokus auf den Nahen Osten (MENA) und Südosteuropa. Er hat in Leipzig und Istanbul Journalistik und Arabistik studiert und anschließend für das Goethe-Institut in Ägypten und Saudi Arabien gearbeitet. Er ist Herausgeber des Sammelbands „Medienfreiheit in Ägypten“ (Halem Verlag, 2015). Seit 2014 war er für taz, Deutsche Welle und weitere deutschsprachige Medien als freier Journalist zu MENA-Themen tätig. Seit 2018 arbeitet er zudem als freier Referent im Themenfeld Islam und Geflüchtete.

Das ganze Interview können Sie auf radio.samariterbund.net nachhören

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