Einst kämpften sie um Anerkennung, mittlerweile sind sie zu einer unverzichtbaren Säule der Gesellschaft geworden: die „Zivis“.
Der 6. März 1974 ist ein bedeutendes Datum für das österreichische Sozial- und Gesundheitswesen. An diesem Tag wurde im Nationalrat das Zivildienstgesetz beschlossen – und damit der Grundstein für jenen Dienst gelegt, den heute fast die Hälfte aller wehrpflichttauglichen Österreicher absolviert. Diese wegweisende Regelung eröffnete jungen Männern die Möglichkeit, sich vom Dienst beim Bundesheer befreien zu lassen und stattdessen „Wehrersatzdienst“ zu leisten. In Kraft trat das Gesetz am 1. Jänner 1975. Der Papierform nach stand es nun jedem Wehrpflichtigen frei, sich für den Zivildienst zu entscheiden. Nur: Die Realität sah freilich anders aus. Die Hürden, tatsächlich als Zivildienstleistender akzeptiert zu werden, waren hoch. So war etwa ein Hearing vor einer Kommission notwendig, bei dem die jungen Männer genau darlegen mussten, warum sie nicht den Dienst mit der Waffe leisten wollten oder konnten. Die Kommission hatte dann das letzte Wort – und nicht immer war ihre Entscheidung nachvollziehbar. Erst 1991 wurde die „Prüfung von Gewissensgründen auf Glaubhaftigkeit“ abgeschafft.
Auch aus der Gesellschaft schlug den Burschen, die einen Dienst abseits vom Heer anstrebten, anfangs Misstrauen entgegen. Sie galten als „subversive Elemente“, wurden oft als „Drückeberger“ oder gar als „Vaterlandsverräter“ verunglimpft. Es brauchte damals definitiv Mut, sich für den Zivildienst zu entscheiden. Die „Zivis“ der ersten Stunden haben somit echte Pionierarbeit geleistet und mit ihrer Standfestigkeit die Basis für die Erfolgsgeschichte des Zivildienstes gelegt.
Eintrittsticket zum Ehrenamt
2023 versahen 14.630 Österreicher Zivildienst (zum Vergleich: 1975 waren es gerade einmal 344), und die „Zivis“ gelten mittlerweile nicht nur als unverzichtbare Leistungsträger im Gesundheits- und Sozialbereich, sondern werden von den Rettungs- und Hilfsorganisationen auch dringend gesucht. Eine Entwicklung, die bei Einführung des Gesetzes kaum jemand für möglich gehalten hat.
Gäbe es den Zivildienst nicht, müsste man ihn erfinden!
Samariterbund-Urgestein Hermann Tanczos, 1975 für den Fuhrpark und auch für die Integration der neuen Berufsgruppe in die Organisation verantwortlich, erinnert sich: „Wenn ich ehrlich bin: Mit offenen Armen wurden die Zivildiener zu Beginn nicht empfangen. Die einen hatten Angst, dass die Jungen ihnen die Arbeit wegnehmen, die anderen waren der Meinung, dass die ‚Zivis‘ nutzlos seien und ihnen nur im Weg herumstehen würden.“ Nichts davon hat sich bewahrheitet. Ganz im Gegenteil. Schnell wurde klar, welch großes Potenzial die jungen Mitarbeiter darstellten: „Ohne den Zivildienst hätte der Samariterbund in den letzten Jahrzehnten nicht so enorm wachsen können. Denn viele der Burschen blieben uns auch nach ihre ‚Zivi‘-Zeit als Ehrenamtliche erhalten“, betont Tanczos.
„Gäbe es den Zivildienst nicht, müsste man ihn erfinden!“
Rund 1.200 junge Männer melden sich jedes Jahr zum Zivildienst beim Samariterbund. Damit zählt die Blaulicht- und Gesundheitsorganisation zu den größten Zivildienstträgern des Landes. Die meisten Samariter-„Zivis“ sind als Rettungssanitäter unterwegs, aber auch in der Katastrophenhilfe, im Bereich der Pflege und in der Betreuung von Geflüchteten, Vertriebenen oder Schutzsuchenden bzw. wohnungslosen Menschen sind sie im Einsatz.
„Gäbe es den Zivildienst nicht, müsste man ihn erfinden!“, bringt es Samariterbund-Bundesgeschäftsführer Reinhard Hundsmüller auf den Punkt. „Die Zivildienstleistenden unterstützen uns maßgeblich dabei, unsere soziale Mission zu erfüllen. Im Gegenzug bieten wir den jungen Männern wertvolle Herzensbildung: Sie tauchen in neue Lebenswelten ein, sehen und helfen Menschen in Not – das prägt den Charakter und den Blickwinkel für den Rest des Lebens.“
Zivildienst zukunftsfit machen
Um Anerkennung, wie noch vor 50 Jahren, muss das Zivildienstwesen längst nicht mehr kämpfen. Heute geht es vor allem darum, genügend „Zivis“ zu bekommen.
Der herrschende Mangel an Zivildienstleistenden ist eine enorme Belastung für Rettungs- und Sozialorganisationen. Ich freue mich, dass auch die Bundesregierung hier mittlerweile Handlungsbedarf erkannt und entsprechende Maßnahmen gesetzt hat“, meint Hundsmüller. Vor allem die Erhöhung der Grundvergütung oder das Gratis-Klimaticket waren erste wichtige Schritte. Auch dass seit Kurzem im Rahmen des Zivildienstes die Pflege-Grundausbildung absolviert werden kann, ist zu begrüßen. Aber es braucht noch mehr! Konkret wäre hier etwa die Möglichkeit einer freiwilligen Verlängerung des Zivildienstes von neun auf zwölf Monate zu nennen. Dazu Hundsmüller: „Das wäre definitiv eine sehr große Erleichterung für uns. Und es gibt auch vonseiten der Zivildienstleistenden immer wieder Anfragen, den aktiven Dienst zu verlängern, um etwa die Zeit bis zum Ausbildungsbeginn sinnvoll zu überbrücken.“
Franziska Springer
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