Ist Krieg ein Tabu für die Satire?

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Fritz Jergitsch gründete 2013 die österreichische Online-Satireplattform „Die Tagespresse“. Nachdem er als One-Man-Show startete, hat er mittlerweile ein Team von sieben Autor*innen. Zu den Eckpfeilern des großen Erfolges gehören auch die Schnelligkeit und Aktualität der Satire-Artikel. Im -Gespräch zeigt sich vor allem eines: Satire darf viel – kann aber auch viel.

Fritz Jergitsch gründete 2013 die Tagespresse
Fritz Jergitsch gründete 2013 die Tagespresse

Wie kam es zur Gründung der Tagespresse?

Ich habe sehr gerne andere Satirefor-mate gelesen und bemerkt, dass es in Österreich noch keine gibt. Also habe ich es selbst gemacht. Das ist in Zeiten des Internets ja sehr einfach. Jeder kann sein eigenes Medium gründen. Das erste Jahr war es eine One-Man-Show, heute sind wir sieben Leute aus den unter-schiedlichsten Bereichen der Gesell-schaft: Kabarettist*innen, Autor*innen, aber auch Leute, die Bürojobs haben und in ihrer Freizeit für uns schreiben.

Braucht es bestimmte Fähigkeiten, Talente für das Schreiben?

Es braucht Interesse an der Welt und ge-genwärtigen Entwicklungen, einen Sinn für Humor und Kreativität, die Fähig-keit, gewisse Dinge zu verknüpfen. Gut schreiben muss man nicht können, aber Witze schreiben. Denn im Endeffekt schreiben wir Witze bzw. Pointen und keine Prosa. Was hilft ist, wenn man den Journalist*innen-Tonfall imitieren kann. Das Allerwichtigste ist aber der Humor.

Eine Pressekonferenz und wir haben Material für 10 Artikel.

F. Jergitsch

Anfänglich haben die Leute ja wie auf normale Nachrichten reagiert und diskutiert. War das für Sie belustigend?

Es ist Teil des Witzes, dass Menschen darauf reinfallen. Am Anfang war das sehr häufig. Da hat mich mehr schockiert, dass die Menschen die dümmsten Nachrichten glauben. Es ist auch Teil der künstlerischen Aussage, dass die Menschen nicht mehr zwischen Realität und Satire unterscheiden können.

Können Sie sich noch an den ersten Artikel erinnern?

Am Anfang habe ich mich mit mehre-ren Themen probiert. Dass es durch die Decke ging, ging dann aber sehr plötzlich. Der erste besonders erfolgreiche Artikel war über Edward Snowden im Jahr 2013, als alle Welt über seinen Aufenthaltsort gerätselt hat. Ich habe dann einfach geschrieben, dass er in Wien ist und auf die Justiz vertraut, dass er niemals in die USA ausgeliefert wird. Das ging immens durch die Decke und viele Amerikaner*innen haben das auf Twitter geteilt. Sogar das Außenministerium musste dann dementieren, dass Snowden in Wien ist. Das hat mich auch überrascht, wie schnell das in Zeiten von sozialen Medien passieren kann, dass etwas viral geht.

„Es braucht Interesse an der Welt und gegenwärtigen Entwicklungen, einen Sinn für Humor und Kreativität, die Fähigkeit, gewisse Dinge zu verknüpfen.“
„Es braucht Interesse an der Welt und gegenwärtigen Entwicklungen, einen Sinn für Humor und Kreativität, die Fähigkeit, gewisse Dinge zu verknüpfen.“

Wie ist das für Sie, wenn klassische Medien darauf reinfallen?

Das amüsiert mich eher. Wir hatten den Artikel, dass die Wiener Linien dem oder der 1 millionsten Schwarzfahrer*in 100.000 € schenken. Das haben die chinesische staatliche Nachrichtenagentur und 32 weitere chinesische Medien übernommen. Wahrscheinlich glauben Millionen Menschen in China, dass wir Schwarzfahren belohnen. Unsere Gegendarstellung haben dann nur 3 Medien von 32 übernommen.

Wie ist das in Krisensituationen? Corona mit aller Verängstigung – überlegt man sich da, wie weit man gehen kann oder ist das eine „aufg’legte G’schicht“?

Für uns war anfänglich wichtig, dass wir die sinnvollen Schutzmaßnahmen, die von Expert*innen empfohlen wurden, nicht lächerlich machen. Wir haben es von einer anderen Perspektive thematisiert. Wir haben etwa empfohlen, dass die Masken – um von den Österreicher*innen akzeptiert zu werden – aus Käseleberkäse sein sollen. Man muss sich ja im Klaren sein, „es geht um Menschenleben“. Gerade am Anfang, als so vieles noch unsicher war.

Ist Krieg wie der Ukraine-Krieg ein Tabu oder darf sich Satire auch damit befassen?

Für uns gib es keine Tabus oder Dinge, die wir a priori ausschließen. Unsere rote Linie ist unser Gewissen. Was ein absolutes No-Go wäre, wäre sich über die Verluste und Opfer der ukrainischen Bevölkerung lustig zu machen. Wir thematisieren Putin und seinen Imperialismus, die Rückschläge der russischen Armee etwa. Wir thematisieren auch ikonische Bilder wie den langen Tisch von Putin. Das sieht man einmal und vergisst es nicht. Wir sind ja auch sehr individuell. Viele Pointen erschließen sich erst durch die Bilder.

Es gab in den letzten Jahren Momente in der Politik, wo man denkt, dass die Realität die Satire überholt. Sind das besondere Herausforderungen oder muss man überlegen, was man da draus macht?

Ibiza, Chatprotokolle, Imagekrisen – das beflügelt uns. Die Zeiten, in denen wir schlechtere Witze und Klicks haben. Ibiza und jetzt die Rücktritte von Minister*innen sind der Treibstoff, den wir brauchen. Das sind Vorlagen, die man ideal nutzen kann.

Wie sehen Sie Humor?

Ein Witz ist eine unerwartete Verknüpfung, die durch ihre Plausibilität überrascht. Humor ist ein soziologischer und psychohygienischer Faktor, um mit der Welt besser umzugehen. Es gab keine Situation der Menschheitsgeschichte, in der die Leute ihren Humor verloren haben. Humor – das hat man auch bei Corona gesehen – hilft den Menschen.

Gib es generell jemanden, der für Sie tabu wäre?

Wir haben eigentlich schon von Hitler über Mohammed bis zum Papst und natürlich alle Politiker*innen geschrieben. Wen wir eher nicht thematisieren, sind die langweiligen Menschen oder die, die niemand kennt. Wir haben etwa noch nicht über Finanzminister Magnus Brunner geschrieben – den kennt ja auch niemand. Die Politiker*innen müssen uns schon Vorlagen liefern. Wie Michael Häupl oder Sebastian Kurz – die liefern uns das Material. Eine Pressekonferenz und wir haben Material für 10 Artikel. ˜

Das Interview führte Stefanie Kurzweil

Das Interview können Sie hier nachhören: radio.samariterbund.net

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