Die nahezu flächendeckende Verbreitung von Smartphones unter Kindern und Jugendlichen hat eine besorgniserregende Entwicklung in Gang gesetzt: die sogenannte Handysucht.
Um die Risiken und Auswirkungen dieser Gefahr besser zu verstehen, haben wir mit zwei Suchtexperten gesprochen: Roland Mader, stellvertretender ärztlicher Direktor am Anton-Proksch-Institut, und Michael Musalek, Ordinarius für allgemeine Psychiatrie an der Sigmund-Freud-Universität Wien.
„Generell unterscheiden wir bei der Online-Sucht zwischen vier großen Bereichen: Glücksspiel, Gaming, Pornografie und Social-Media. Wobei wir bei letzterem noch am wenigsten darüber wissen“, erklärt Michael Musalek. Besorgniserregend ist, dass vor allem junge Menschen dazu neigen, soziale Medien exzessiv zu nutzen. „Kinder haben noch wenig Selbstkontrolle und handeln meist impulsiv. Auch Babys sind fasziniert von einem Smartphone, weil man dort wischen kann und sich etwas bewegt“, betont Roland Mader.
Kontrollverlust als zentrales Merkmal
Der Verlust der Kontrolle ist das deutlichste Anzeichen für ein Suchtverhalten, und bei Kindern und Jugendlichen manifestiert sich dies oft früh. Mader hebt hervor, dass es wichtig ist, Jugendlichen das richtige „Rüstzeug“ mitzugeben, um sich im digitalen Kosmos zurechtzufinden. Ein generelles Handyverbot sieht er nicht als Lösung: „Aber es braucht Regeln, die innerhalb der Familie vereinbart werden müssen.“ Als Faustregel empfiehlt Mader eine zeitliche Begrenzung der Handynutzung: „Bis fünf Jahre: eine halbe Stunde am Tag. Dann von sechs bis neun Jahren eine Stunde am Stück. Ab zehn Jahren hat sich ein Wochenkontingent bewährt, dass man sagt, zehn bis 15 Stunden in der Woche, die man sich selbst einteilen kann.“
Entzug und seine Folgen
Ein weiteres Kriterium für Sucht ist die Reaktion auf den Entzug. „Wenn das Handy kaputt ist oder der Akku leer, kommt es zu Unruhe, Angstzuständen oder Schlafstörungen. Und nicht zu vergessen ist das Vernachlässigen anderer wichtiger Dinge im Leben – sozialer Kontakte, Beziehungen oder auch schulischer Leistungen“, warnt Mader. Diese Symptome verdeutlichen die Gefahren, die übermäßiger Handykonsum auf junge Menschen haben kann. „Die Entzugssymptome sind ähnlich wie beim Alkoholentzug“, so Musalek.
Langfristige soziale Folgen
Musalek fügt hinzu, dass die Auswirkungen weit über die akuten Entzugserscheinungen hinausgehen. „Wir haben bestimmte Entwicklungsfenster, in denen wir grundlegende Fähigkeiten lernen. Eines dieser Fenster betrifft die sozialen Beziehungen, die etwa ab dem zwölften Lebensjahr intensiv ausgebildet werden. Wird diese Phase durch exzessiven Handykonsum gestört, kann das später zu erheblichen Problemen führen“, erklärt er.
Die Rolle der (a)sozialen Medien
Soziale Medien sind besonders problematisch, da die Plattformen so gestaltet sind, dass sie mit ständiger Reizüberflutung agieren. „Das Nicht-Aufhören-Können ist das erste Suchtkriterium“, so Mader. Junge Menschen sind oft überfordert von der endlosen Flut an Informationen und dem ständigen Druck, präsent zu sein. Musalek betont: „Vor allem junge Mädchen sollten nicht zu früh mit Plattformen wie Instagram oder TikTok in Kontakt kommen, da diese das Selbstbild und Rollenverständnis in der Pubertät negativ beeinflussen können. Je später der Einstieg, desto gesünder ist es für die Entwicklung.“
Die Experten sind sich einig: Der Handysucht kann nur durch einen bewussten und kontrollierten Umgang mit digitalen Medien begegnet werden. Eltern und Schulen tragen hierbei eine besondere Verantwortung, klare Regeln zu setzen und junge Menschen im Umgang mit der digitalen Welt zu schulen.
Georg Widerin
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