Beleidigt, ausgegrenzt, krank gemacht

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Die soziologischen Schattenseiten der Smartphone-Nutzung bleiben oft unbedacht.

Schattenseiten der  Smartphone-Nutzung (Grafik: C.Lipinsky Foto: alexmcferon)
Schattenseiten der Smartphone-Nutzung (Grafik: C.Lipinsky Foto: alexmcferon)

Das Smartphone erlaubt uns maximale digitale Mobilität: Shoppen im Internet, Navigieren in der fremden Stadt, Erlebnisse auf Social Media teilen – alles jederzeit möglich. Doch gerade Jugendlichen geraten Facebook, Instagram, TikTok und Co. oft nach kurzem Segen schnell zum Fluch, von dem sie sich selbst nur mehr schwer befreien können. Denn neben nicht altersadäquaten Inhalten, dem Wecken falscher Erwartungshaltungen an das eigene Aussehen, Desinformation und Fake News, denen man mangels Erfahrung leichter aufsitzt, ist gerade das Phänomen Hate Speech, das zielgerichtete Beleidigen anderer, für Opfer schwer belastend. Seien die Täter:innen völlig Unbekannte, die TikTok-Videos kommentieren, oder Schulkamerad:innen in der Klassen-WhatsApp-Gruppe.

Hassrede und Hetze sind auf den Social-Media-Plattformen allgegenwärtig. Je nach Begriffs-Definition sind ein Drittel bis 90 Prozent aller Jugendlichen Hate Speech bereits begegnet. Für sie, die entwicklungsbedingt ohnehin in einer emotional herausfordernden Phase stecken, ist der Umgang mit dieserart negativen Kommentaren besonders schwierig. Und hat dramatische Folgen: von Isolation über Rückzug aus der bisherigen (digitalen) Umgebung bis zum Schulwechsel, von Angstzuständen über Depression bis hin zu Suizidgedanken.

Einmal in Gang gesetzt, ist es nicht leicht, eine solche Vorwurfs- und Verhöhnungs-Dynamik zu stoppen.

Dr. Christiane Atzmüller

Einmal in Gang gesetzt, ist es nicht leicht, eine solche Vorwurfs- und Verhöhnungs-Dynamik zu stoppen, wie Dr. Christiane Atzmüller im Gespräch mit sam WIEN erklärt. Sie forscht am Institut für Soziologie der Universität Wien. Das wirksamste Mittel, diese Kaskade opferseits zu unterbrechen, sei die direkte Offline-Kommunikation mit Täterin oder Täter. Die ihrerseits laut Atzmüllers Untersuchungen oft rein aus Spaß oder Profilierungssucht bösartig kommentieren, ohne auch nur ansatzweise zu ermessen, was dadurch im Gegenüber ausgelöst werde. Für ein solches Gespräch braucht es Mut – und wenn der nicht ausreichend vorhanden ist oder die Peiniger:innen nicht greifbar sind, bleibt, neben der selten genutzten juristischen Verfolgung, aus Sicht von Jugendlichen vielfach nur das schmerzliche Aussitzen der Anfeindungen.


„Counter Speech“ als Ausweg aus der Entwertungsspirale

Ein anderer Weg, der Situation zu entkommen, ist das, was Atzmüller „Counter Speech“ nennt. Hier schlagen sich an der virtuellen Kommunikation beteiligte Dritte auf die Seite des Opfers, etwa durch ein allgemeines Statement, dass sie den wahrgenommenen Übergriff nicht in Ordnung finden, durch konfrontative Auseinandersetzung mit Täterin/Täter oder durch Unterstützung des Opfers. Was bislang alles allerdings viel zu selten passiert. Den abfedernden Effekt scheint zudem der jeweilige Plattform-Algorithmus selbst zu verhindern, der – abhängig vom Nutzerverhalten (etwa Anzahl von Likes) – negative Beiträge weiter nach oben reiht, beispringende indes offenbar wenig prominent platziert, und diese so quasi nicht wahrgenommen werden.
Was also tun? Laut Bildungsministerium besitzt jedes zweite Kind zwischen sechs und 13 Jahren bzw. besitzen 94 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen ein eigenes Smartphone. Smartphone- und Social-Media-Nutzung störe aber die soziale, sexuelle und kognitive Entwicklung, die Impulskontrolle und die Konzentration, sagt der US-Sozialpsychologe Jonathan Haidt. Seiner Meinung nach sollten Jugendliche erst mit 14 Jahren ein Smartphone und frühestens mit 16 streng altersüberprüften Zugang zu sozialen Medien bekommen. Letzteres müsse insbesondere für TikTok gelten. Die dort vielfach geteilten Herausforderungen etwa haben unter Jugendlichen bereits zu Todesfällen geführt, etwa die „Blackout Challenge“, bei der es darum ging, sich selbst bis zur Ohnmacht zu würgen. Der immense Zeitaufwand, hält zudem von anderen  Aktivitäten mit Freunden, Aufenthalt in der Natur, Lernen oder Sport ab.

Eltern sollen ihren Kindern zur Seite stehen

Atzmüller möchte sich auf keine Altersgrenzen festlegen. Ihr ist es vor allem wichtig, dass die Jugendlichen frühzeitig ein Rüstzeug für den Umgang mit den Problematiken bei der Nutzung mitgegeben werde. Dies dürfe gerne bereits in der Grundschule beginnen und sich in gängigen Unterrichtsfächern wie zum Beispiel dem Deutschunterricht an den weiterführenden Schulen fortsetzen. Auch die Eltern sollten den Eintritt des Kindes in die digitale Welt möglichst gut begleiten. Wenngleich sie zugibt, dass auch durch diese Maßnahmen nicht alles Unschöne abgefangen werden könne.
Die häufig aus der Politik zu hörende Forderung nach einer besseren Überwachung der Chats durch die Plattformanbieter geht im Übrigen häufig ins Leere, weil psychische Verletzungen sehr individuell sind und entsprechend subtil verursachet werden: durch per se, jedoch eben nicht im konkreten Zusammenhang harmlose Bilder, Memes, Videos. Oder durch Worte, die keine „klassischen“ Schimpfworte sind. Filter greifen hier nur schwer. ˜

Michael Brommer

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